So können Sie den Schuldschein-Boom nutzen

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Der Markt wächst und wächst: 2017 hat der Schuldscheinmarkt erneut einen Rekordwert erzielt. Das Volumen erreichte laut einer LBBW-Analyse 27 Milliarden Euro und liegt damit etwa auf Vorjahresniveau. Allerdings wurden laut der Stuttgarter Landesbank insgesamt deutlich mehr Papiere platziert – mit 155 rund ein Viertel mehr als im Vorjahr. „Wir haben eine Explosion der Transaktionen gesehen“, berichtet Klaus Pahle, Head of Schuldschein Desk der ING Wholesale Banking. Der Spezialist geht sogar von mehr als 170 Transaktionen im abgelaufenen Jahr aus. Er glaubt, dass der Markt 2018 die 30-Milliarden-Euro-Grenze knacken könnte.

Der Schuldschein ist für viele Unternehmen attraktiv, insbesondere für Mittelständler. Um einen Schuldschein zu platzieren, ist kein externes Rating notwendig. Allerdings war die Form der Privatplatzierung ursprünglich für Mittelständler gedacht, die ein implizites Investmentgrade aufwiesen. „Im Laufe der Zeit hat sich der Markt auch Unternehmen aus dem Cross-Over-Bereich geöffnet, wobei die Emittenten mit guten Bonitäten nach wie vor dominieren“, erläutert Schuldschein-Experte Raoul Heßling von BNP Paribas.

Jumbo-Schuldscheine möglich

Spätestens seit dem Schuldschein von ZF Friedrichshafen im Januar 2015 über 2,2 Milliarden Euro ist zudem klar, dass Emittenten über den Markt auch sehr hohe Summen einsammeln können. Auch 2017 gab es wieder drei Transaktionen, die die Milliardengrenze knackten. Dabei war der Schuldschein ursprünglich ein Mittelstandsinstrument, gedacht für Unternehmen, die ihre Finanzierungsquellen diversifizieren, sich aber dem „echten“ Kapitalmarkt nicht öffnen wollten. Inzwischen nutzen auch Großunternehmen und Konzerne das Instrument – besonders, wenn es im Vergleich zu anderen Fremdkapitalinstrumenten wie Anleihen gute Konditionen bietet, was in bestimmten Marktphasen immer wieder der Fall ist.

Grundsätzlich gilt, dass ein Schuldschein ein Mindestvolumen von rund 50 Millionen Euro haben sollte. Es gibt allerdings auch kleinere Platzierungen, die dann jedoch meist weniger breit vermarktet werden. „Als Laufzeit galten in der Vergangenheit lange drei bis sieben Jahre als Standard. Mit zunehmendem Anlagedruck der Investoren werden heute aber auch regelmäßig Laufzeiten von zehn Jahren abgeschlossen“, sagt BNP-Paribas-Experte Heßling.

Schuldschein zwischen Kredit und Anleihe

Einer der Hauptgründe, um sich für einen Schuldschein und gegen eine Anleihe zu entscheiden, liegt in den unterschiedlichen Publizitätspflichten sowie der Investorenansprache. „Bei einer Schuldscheinplatzierung muss sich ein Unternehmen nur einem ausgewählten Kreis von Investoren öffnen“, erläutert ING-Spezialist Pahle. Mit den Geldgebern können auch Verschwiegenheitsvereinbarungen getroffen werden. Bei einer Anleihe besteht dagegen Prospektpflicht, das Unternehmen muss sich dem gesamten Kapitalmarkt öffnen und die deutlich höheren Transparenzanforderungen erfüllen.

Im Gegensatz zur Anleihe ist beim Schuldschein auch der Aufwand für eine Platzierung deutlich geringer. Die Dokumentation ist stark standardisiert und häufig nur rund 20 Seiten lang. In dieser Hinsicht ist das Instrument einem klassischem Kredit sehr viel näher als einer Anleihe. Das spiegelt sich auch in der Investorenschaft wieder, zu der vornehmlich Banken gehören. Die ausschließlich professionellen Investoren nehmen meist eine eigene Kreditprüfung vor und benötigen somit auch keine externe Ratingnote, bevor sie in einen Schuldschein investieren.

„Der Schuldschein ist ein überaus schlankes Instrument“, erklärt BNP-Paribas-Spezialist Heßling. Es sei „in der Regel unbesichert“, sagt der Experte. In manchen Fällen würden jedoch wie bei einem Kredit Finanzklauseln vereinbart. In diesen kann ein maximaler Verschuldungsgrad oder eine Mindesthöhe des Eigenkapitals festgeschrieben sein. Allerdings ist mit dem Boom am Schuldscheinmarkt auch eine Aufweichung dieser Standards einhergegangen, was Investoren wie Allianz Global Investors inzwischen kritisieren.

Unternehmen erschließen neue Investorengruppen

Durch die Ähnlichkeit des Kredits zum Schuldschein stellt sich die Frage: Worin liegen die Vorteile dieser Finanzierungsform? Ein typischer Grund, den Schuldscheinmarkt anzuzapfen, ist der Wunsch nach einer breiteren Investorenbasis wie bei einer Anleiheemission ohne die damit verbundenen Transaktionskosten und Börsennotierungsfolgepflichten. Durch den Schuldschein werden Investoren angesprochen, die üblicherweise nicht als Unternehmenskreditgeber auftreten. Schuldscheine fungieren häufig als Ergänzungen zu den bestehenden Kreditvereinbarungen.

„Die meisten Investoren, die sich an einem Schuldschein beteiligen, sind sogenannte Buy-and-Hold-Investoren“, erklärt Rechtsanwalt Sacha Lürken von Kirkland & Ellis. Zu den typischen Investoren gehören meist Banken, Sparkassen sowie Pensionsfonds und Versicherungen. In den vergangenen Jahren hat auch das Interesse ausländischer Investoren an Schuldscheinen deutlich zugenommen. Der Vorteil: Sie kommen so an mittelständische Unternehmen heran, die den herkömmlichen Kapitalmarkt sonst meiden, sagt Lürken.

Neben ausländischen Investoren haben jedoch auch vermehrt Emittenten aus dem Ausland den Markt angezapft. „Der Schuldschein ist ein regelrechter Exportschlager geworden“, betont Schuldscheinexperte Heßling. „Es gibt viele Bemühungen, einen internationalen Dokumentationsstandard für Europäische Privatplatzierungen zu schaffen. Der Schuldschein ist aufgrund seiner breiten internationalen Akzeptanz bei Investoren und Emittenten im Begriff, genau diesen Standard zu setzen.“

Neuere Trends: Green Schuldschein und Blockchain-Platzierung

Neben einer stärker werdenden Internationalisierung machen auch andere Kapitalmarkttrends vor dem Schuldschein nicht halt. Seit vergangenem Jahr hält die Blockchain-Technologie Einzug. Bislang haben Daimler und Telefonica Deutschland mit Begleitung der LBBW einen Schuldschein über die Blockchain-Technologie platziert. Größtes Manko ist allerdings noch die Regulierung: Bislang muss neben der Blockchain-Platzierung der klassische Emissionskanal genutzt werden. Mittelfristig könnte der Regulator allerdings auch reine Blockchain-Emissionen zulassen, hoffen die LBBW-Spezialisten.

Neben dem technischen Fortschritt zeigt sich auch das starke Wachstum im Bereich der grünen Finanzierungen im Schuldscheinmarkt: Nordex und Friesland Campina machten im April 2016 den Anfang mit einem Green Schuldschein. „Seitdem hat es sieben grüne Schuldscheine am Markt gegeben“, berichtet ING-Experte Pahle. Die grüne Variante ist aufgebaut wie ein klassischer Schuldschein, allerdings ist das eingesammelte Geld für die Finanzierung nachhaltiger Projekte vorgesehen.

„Zudem zertifiziert meist eine unabhängige Nachhaltigkeitsagentur die Finanzierung als grün“, ergänzt Pahle. Diese Agenturen schauen dabei auf die Projekte, die finanziert werden sollen, ebenso wie auf die Transparenz bei der Emission und welche Reporting-Standards sich das Unternehmen im Nachgang der Emission selbst auferlegt. Wie bei Green Bonds existiert an dem Markt bisher kein einheitlicher Standard.

Restrukturierung deutlich komplexer

Was Finanzverantwortliche allerdings bei aller Beliebtheit des Schuldscheinmarktes nicht außer Acht lassen sollten: Die Restrukturierung eines Schuldscheins ist komplex. „Ein zentraler Unterschied zwischen einem Konsortialkredit und einem Schuldschein ist, dass es keine Mehrheitsklauseln gibt“, betont Restrukturierungsexperte Lürken.

Konkret bedeutet das: Wenn ein Unternehmen eine Finanzklausel reißt, dann hat meist jeder Investor das Recht, den Schuldschein zu kündigen und die Rückzahlung seines Anteils zu fordern. „Bei einem Konsortialkredit müsste sich die Mehrheit der Geldgeber auf einen solchen Schritt einigen“, erklärt der Anwalt. Bei Anleihen ist es nach dem neuen Schuldverschreibungsrecht von 2009 sogar möglich, mit einer Mehrheit von 75 Prozent die Anleihebedingungen zu verändern und Stundungen oder Forderungsverzichte auszusprechen.

Für die Finanzabteilung macht dies die Verhandlungen mit den Schuldscheininvestoren im Krisenfall deutlich schwieriger. Es reicht nicht, die Mehrheit zu überzeugen, sondern jeden einzelnen Investor. Je nach Größe des Schuldscheins können das mehrere Dutzend sein, erklärt der Anwalt.

„Es kann umso schwieriger werden, wenn Investoren im Krisenfall ihre Anteile weiterverkaufen“, so Lürken. Zwar sind Schuldscheininvestoren langfristig orientiert, in Krisenfällen kann es aber vorkommen, dass sie ihre Papiere veräußern. Dann schlagen meist Investoren zu, die deutlich aggressiver als Sparkassen oder die Hausbanken auftreten. Allerdings sind diese Krisenfälle in Zeiten guter Konjunktur in Deutschland eine Ausnahme.

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Antonia Kögler ist Redaktionsleiterin bei DerTreasurer. Sie schreibt über Finanzierung und Asset Management und verfolgt alle Entwicklungen rund um das Thema Sustainable Finance.